Corona

Wie Kinder in der Corona-Pandemie leiden

Wie stark ist die Lebenssituation der knapp neun Millionen Kinder und Jugendlichen in Deutschland durch die Corona-Pandemie beeinträchtigt? Alles in ihrer Welt scheint seit mehr als einem Jahr eingefroren zu sein. Welche Folgen hat die soziale Isolation für ihre Entwicklung? Kitas und Schulen haben oft gar nicht oder nur unregelmäßig geöffnet. Sportangebote und Musikunterricht sind gestrichen. Freizeitprojekte und Krabbelgruppen finden nicht statt. Sogar Spielplätze wurden im ersten Lockdown geschlossen. Die Kinderrechte, wie sie Deutschland in der UN-Kinderrechtskonvention anerkannt hat, scheinen kaum eine Rolle zu spielen.

Die soziale Isolation von Kindern in der Pandemie alarmiert auch Ärzte und Wissenschaftler. Fast jedes dritte Kind litt knapp ein Jahr nach Beginn der Seuche unter psychischen Auffälligkeiten. Sorgen und Ängste haben zugenommen, ebenso depressive Symptome und psychosomatische Beschwerden. Betroffen sind vor allem Kinder und Jugendliche aus sozial schwächeren Verhältnissen oder mit Migrationshintergrund. Das ergab die COPSY-Studie („Corona und Psyche“) des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf (UKE). Sie ist bundesweit die erste ihrer Art. Ähnlich lauten vorläufige Ergebnisse weiterer Studien, durchgeführt unter anderen durch die Universitäten Freiburg und Bamberg sowie die Ludwig-Maximilian-Universität in München.

"Bedürfnisse von Kindern stärker berücksichtigen“

„Wer vor der Pandemie gut dastand, Strukturen erlernt hat und sich in seiner Familie wohl und gut aufgehoben fühlt, wird auch gut durch die Pandemie kommen. Wir brauchen aber verlässlichere Konzepte, um insbesondere Kinder aus Risikofamilien zu unterstützen und ihre seelische Gesundheit zu stärken. Hier sind auch die Schulen gefragt, regelmäßig Kontakt zu ihren Schülerinnen und Schülern zu halten und ihnen dadurch Wertschätzung und Aufmerksamkeit entgegenzubringen. Sonst besteht die Gefahr, dass vor allem Kinder aus Risikofamilien ihre Motivation und Lernfreude verlieren. Insgesamt müssen wir die seelischen Belastungen und Bedürfnisse von Familien und Kindern stärker berücksichtigen“, sagt Prof. Dr. Ulrike Ravens-Sieberer, Leiterin der COPSY-Studie und Forschungsdirektorin der Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, -psychotherapie und -psychosomatik des UKE.

Vier von fünf der befragten Kinder und Jugendlichen fühlen sich durch die Seuche belastet. Ihre Lebensqualität hat sich im Verlauf der Pandemie weiter verschlechtert. Fast jedes dritte Kind litt zehn Monate nach Beginn der Pandemie unter psychischen Auffälligkeiten. Ängste und Sorgen haben deutlich zugenommen. Kinder zeigen häufiger depressive Symptome sowie psychosomatische Beschwerden wie Niedergeschlagenheit oder Kopf- und Bauchschmerzen.

Das Gesundheitsverhalten hat sich verschlechtert. Kinder und Jugendliche ernähren sich ungesund mit viel Süßigkeiten. Zehnmal mehr Kinder als vor der Pandemie machen überhaupt keinen Sport mehr. „Sport ist ganz wesentlich für das Wohlbefinden. Kinder und Jugendliche treffen beim Sport auch ihre Freunde, lernen, sich in eine Mannschaft einzuordnen und mit Konflikten, Siegen und Niederlagen umzugehen“, sagt Prof. Ravens-Sieberer. Parallel dazu verbringen die Kinder mehr Zeit an Handy, Tablet und Spielekonsole.

Auch in der zweiten Befragung der COPSY-Studie berichten die Kinder und Jugendlichen über mehr Streit in den Familien, über mehr schulische Probleme und ein schlechteres Verhältnis zu ihren Freunden. Familien, die über einen guten Zusammenhalt berichten und viel Zeit mit ihren Kindern verbringen, können dagegen besser mit den Belastungen in der Pandemie umgehen. Doch auch viele Eltern fühlen sich durch die Pandemie belastet und zeigen vermehrt depressive Symptome. „Die Eltern kommen zunehmend an ihre Grenzen“, erklärt Prof. Ravens-Sieberer.

Über die Studie

In der COPSY-Studie wurden Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die seelische Gesundheit und das Wohlbefinden von Kindern und Jugendlichen in Deutschland untersucht. Von Mitte Dezember 2020 bis Mitte Januar 2021 wurden mehr als 1.000 Kinder und Jugendliche sowie mehr als 1.600 Eltern befragt. Mehr als 80 Prozent der Kinder und Eltern hatten bereits an der ersten Befragung im Juni 2020 teilgenommen. Die Befragten bilden die Bevölkerungsstruktur von Familien mit Kindern im Alter von 7 und 17 Jahren ab.